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Von Fritz B. Busch |
Er schreibt nicht nur seit Jahrzehnten über Automobile,
er sammelt auch welche, und diese füllen nun schon ein
ganzes Museum, sein eigenes. So ganz alltäglich ist das
nicht, denn er ist weder Millionär noch eine Institution-
er schreibt und sammelt, schreibt und sammelt. Ist das noch
normal? MOTOR REVUE versuchte, eine Antwort auf diese sehr direkte
und beinahe schon unverschämte Frage zu bekommen.
Der Betroffene gibt sie selbst. |
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Von welcher Seite man es auch betrachtet, es scheint,
daß ich mit dem gesegnet bin, was der Volksmund eine Meise
nennt.
Eine Meise hat man oder man hat keine. Wer keine hat, der bekommt
auch keine, denn weder fliegt einem eine Meise zu, noch kann
man sich eine zulegen. Denn eine Meise ist Bestimmung. Zulegen
kann man sich ein Hobby. Aber ein Hobby, das zur Meise ausartet,
war schon vorher eine. Man erkennt das zu spät. Tröstlich
ist, daß man mit einer echten Meise glücklich ist.
Das ist erwiesen. In Ermangelung einer Meise kann der Mensch
sehr unglücklich sein. Was mich betrifft, so steht es fest:
Ich würde, auf eine einsame Insel verbannt, so lange graben,
bis ich auf ein altes Auto stoßen würde. So, wie
dem Hund eingegeben ist, nach einem Knochen zu graben.
Ich will den Leser mit meiner Meise bekannt machen. Wie macht
man das? Man erfindet einen Psychiater. Legen Sie sich da hin,
Herr Busch, sagt er. Ich sage: Aha! Denn ich betrachte die Couch.
Sie ist aus schwarzem, genarbtem Kunstleder. Wo wohnt Ihr Sattler?
frage ich. Denn ich suche dieses Kunstleder schon seit langem.
Die DKW-Karosserien waren damit bespannt. Der Psychiater bleibt
irritiert. Ich bin es, sagt er, der hier die Fragen stellt.
Also besteige ich die Couch und erkenne sofort einen Mangel:
Sie hat keine Räder. Aber ich behalte das für mich.
In Ihrer Kindheit, sagt er, gab es da irgend etwas, das mit
Automobilen zusammenhing? Er schießt sich auf mich ein.
Alles, sage ich, alles hing mit Automobilen zusammen, seit ich
denken kann. Sogar die Hebamme roch nach Benzin. Sie war mit
dem kleinen Wanderer gekommen, den man Puppchen nannte. Er hatte
15 PS. Er räuspert sich. Es klingt wie das Ansauggeräusch
eines 98er Sachs-Motors. War das ein altes Auto? fragt er. Ja,
sage ich, von 1913. Aber das Puppchen wurde bis 1922 gebaut.
Da wurde ich geboren. Es hätte also auch ein neues sein
können.
So kommen wir kaum weiter. Ich stelle die Gegenfrage, ob sein
Sattler wohl auch Pfeifenpolster nähen könne. Das
kann heute kaum noch einer. Es herrscht ein bedrohlicher Mangel
an ergrauten Autosattlem.
Er überhört die Frage und stellt selber eine. Haben
Sie einen immer wiederkehrenden Traum?
Ja, sage ich. Ich träume sehr oft von einem großen,
alten Scheunentor. Es hängt schief in den Angeln, und das
Gras davor ist so hoch gewachsen und verfilzt, daß ich
das Tor nicht öffnen kann. Ich weiß aber, daß
hinter dem Tor ein Bugatti 35 steht von 1927. Und der Bauer
hat gesagt, den können Sie haben, ich brauche Platz für
meine neue Dreschmaschine. Und Sie kriegen das Tor nicht auf?
Nein. Also wachen Sie schweißgebadet auf? Nein, ich suche
nach einer Sense, mit der ich das Gras abmähen kann, und
ich bin vollkommen happy. Aber, wenn Sie dann aufwachen? Dann
bin ich erst recht happy, denn ich freue mich auf meine Werkstatt.
Immer, wenn ich aufwache, ist das so. Wir bauen da augenblicklich
einen AGA auf und einen Kleinschnittger. Sie werden diese Marken
kaum kennen.
So ist es, sagt er. Und fährt fort: Aber Sie träumen
doch von einem Bugatti, und den kriegen Sie nicht, also sind
Sie irgendwie unbefriedigt. Nein, sage ich, ich schlafe genauso
gut, wenn hinter dem Scheunentor ein alter Dreirad-Lieferwagen
steht. Sagen wir mal, ein Framo von 1932. Und den habe ich gefunden.
Sie wissen doch, Framo in Frankenberg gehörte Rasmussen.
Er weiß es nicht. Was weiß er überhaupt?
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"In Ermangelung
einer Meise kann der Mensch unglücklich sein" |
Er tippt mit seinem Kugelschreiber nervöse
Morsezeichen auf den noch immer leeren Block. Und neue Autos,
sagt er dann, wie ist es damit? Träumen Sie von denen auch?
Nur alp, sage ich. Ich stehe auf einem Parkplatz und suche nach
meinem Auto. Aber ich finde es nicht, weil eines so aussieht
wie das andere. Und meine Frau wartet seit einer halben Stunde
ungeduldig auf mich vor dem Supermarkt.
Da wachen Sie schweißgebadet auf. Nein, da fällt
mir ein, daß ich mit meinem Ford A-Modell gekommen bin,
und das finde ich sofort. Es überragt ja alle anderen Autos.
Und da bin ich happy.
Besitzen Sie denn ein A- Modell, oder bilden Sie sich das in
Ihrem Traum nur ein? Natürlich besitze ich ein A- Modell,
auch ein T-Modell. Das A- Modell ist doch der Grundstock einer
jeden Sammlung. Da kommt man nicht dran vorbei. Ich will es
mal so sagen: Ich würde schweißgebadet aufwachen,
wenn ich wüßte, daß ich kein A- Modell besitze.
Er knöpft seinen Kragen auf und zieht den Knoten der dezent
gestreiften Krawatte etwas nach unten. Dabei fällt ihm
der Kugelschreiber aus der Hand, und der Block segelt hinterher.
Der Mann ist irgendwie mit den Nerven herunter, er hat womöglich
keine Meise.
Er blickt mir nun mitten ins Gesicht. Sie arbeiten viel in frischer
Luft? fragt er. Nein, sage ich, ich fahre viel in frischer Luft.
Ich bevorzuge offene Zweisitzer, Roadster, wenn Sie wissen,
was ich meine.
Ja, sagt er, aber die gibt es doch kaum noch. Es gab sie, sage
ich, und das genügt mir. Ich habe davon knapp zwei Dutzend.
Dazu kommen aber noch die Phaetons, das sind offene Viersitzer
mit Klappverdeck, gewissermaßen doppelte Roadster. |
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"Ich bevorzuge
offene Zweisitzer, Roadster, wenn Sie wissen, was ich meine" |
Ich versuche, über diesen Scherz zu lachen, aber es lohnt
nicht, auch dann würde er ihn nicht verstehen. Er geht
nervös im Raum auf und ab. Es gibt aber Augenblicke, sagt
er beinahe trotzig, in denen Sie todunglücklich sind.
Ja, neulich, sage ich. Da bin ich nach Ulm gefahren zum diesjährigen
Veteranen- und Teile- Markt, weil ich ein Lenkrad für meinen
Kleinschnittger suchte. Das ist auch ein Zweisitzer. Ich habe
aber keins gefunden. Sie kehrten also verzweifelt heim? fragt
er, mit einem Schimmer von Hoffnung im Blick. Nein, sage ich,
im Gegenteil. Ich war happy. Ich hatte nämlich in Ulm einen
kleinen, roten, britischen Sportwagen gefunden, und den brachte
ich mit. Anstelle des Lenkrades? Ja, anstelle des Lenkrades,
um dessentwillen ich nach Ulm gefahren war. Er blickt ein Weilchen
ins Leere. Dann hat er den Faden wieder. Wenn Sie nun aber,
sagen wir mal, anstatt mit einem Lenkrad mit einem ganzen Automobil
nach Hause kommen, mit einem britischen Zweisitzer, äh,
also, was sagt dann Ihre Frau dazu? Den hätte ich auch
genommen. Sagt sie? Sagt sie. Aber früher, so vor 15, 20
Jahren, hat sie mich in einem solchen Fall ganz merkwürdig
angesehen, so von der Seite, oder besser, von unten nach schräg
oben. Und dazu hat sie tsih- tsih- tsih gesagt und mit dem Kopf
gewackelt. Ich habe sie daraufhin zu einem guten Psychiater
geschickt, und seitdem ist das weg. Er muß sich verschluckt
haben, er röchelt und greift nach dem Glas Wasser, das
er für mich hingestellt hat. Endlich kriegt er wieder Luft.
Ich habe inzwischen das Kunstleder befühlt. Es ist doch
mehr für Sitzpolster geeignet, etwas zu dick zum Bespannen
von Sperrholz-Karosserien. Schade, aber ich könnte es für
die Sitze des AGA gebrauchen.
Ist es Ihnen je gelungen, stört er mich, in die alte Scheune
einzudringen? Ich bin in Hunderte von alten Scheunen eingedrungen,
sage ich. Denn als ich zu sammeln begann, gab es diese Oldtimer-Zeitschriften
noch nicht, in denen sich längst die Kleinanzeigen häufen.
Da mußte man noch über die Dörfer ziehen und
in die finsterste Scheune gucken. Das macht ihm Mut. Sind Sie
dabei vielleicht einmal von einem Hund angefallen worden? fragt
er. Nein, sage ich, sehe ich so aus? Nur einmal hat mein Hund
einen Bauern gebissen. Der hat mir aber dennoch seinen Traktor
verkauft. Es war ein Fordson von 1927.
Sie hatten also niemals Angst, das unbekannte Dunkel einer solchen
Scheune zu betreten? Doch, sage ich, weil man im Dunkeln manchmal
einen viel zu hohen Preis bietet und gar nicht mitkriegt, daß
hinten eine falsche Stoßstange dran ist oder Rückleuchten
von einem Fremdfahrzeug. Also war es doch jeweils ein bedrückendes
Gefühl? Nein, ein beglückendes. Sehen Sie, wenn man
so ein Scheunentor aufmacht, das ist, als ob man eine Wundertüte
öffnet oder ein Geschenk auswickelt oder ein Mädchen.
Ich bitte den Leser um Nachsicht, aber seinem Psychiater darf
man ja nichts verheimlichen. Außerdem scheine ich ihm
damit eine Freude gemacht zu haben. Er schnellt von seinem Stuhl
empor und durchmißt den Raum mit Trippelschritten. Sie
träumen oft von Mädchen? fragt er. Jeden Abend, sage
ich. Sagten Sie nicht, daß Sie von alten Autos träumen?
Man muß Geduld mit ihm haben, das ist mir inzwischen klargeworden.
Also, sage ich, das ist so. Wenn ich vor dem Einschlafen an
Oldtimer denke, und das tue ich immer, dann regt mich das so
auf, daß ich nicht einschlafen kann. Dann schalte ich
eben ab und denke an Mädchen.
Und das beruhigt Sie. Kolossal, sage ich. Mädchen gibt
es überall, Oldtimer sind selten. Man kann sich nicht vornehmen,
morgen besorgst du dir einen Oldtimer. Mit Mädchen geht
das. Erst recht, wenn man mit einem Oldtimer herumfährt.
Eignen sich dafür spezielle Typen? Nein, mal ist es eine
Blonde, mal eine Dunkle. Er unterbricht mich. Ich meine Typen
von Oldtimern, sagt er unwirsch. Ja, oh doch. Mit einem Jaguar
E-Type zum Beispiel geht es am besten. Meiner ist rot und hat
silberne Speichenräder. Es geht aber auch mit einer frühen
Corvette, auch mit einem MGA, sogar mit dem kleinen Fiat Balilla
oder dem Alfa Giulietta Spider. Die besitzen Sie alle? Unter
anderen, ja. Er blickt nun sehr zuversichtlich. Haben Sie vielleicht
nur aus diesem Grund, äh, Sie wissen schon, denn Sie sind
ja auch nicht mehr der Jüngste, also haben Sie sich deshalb
alle diese hübschen Zweisitzer gekauft?
Quatsch, sage ich. Erstens war ich vor 20 Jahren noch so jung,
daß ein VW Käfer genügt hätte, zweitens
habe ich auch Zweisitzer, über die die jungen Dinger nur
leise lächeln - hochbeinige oder ganz kleine, wie den Spatz
oder die Isetta oder den Topolino. Die mußte ich einfach
haben, wissen Sie, ich wäre sonst verrückt geworden.
Ich bin im Begriff, mich ihm wirklich anzuvertrauen. Hat er
mich geschafft? In seinen Augen funkelt es. Würden Sie
sagen, daß jemand, der keine alten Autos sammelt, verrückt
sein muß oder verrückt wird?
So eng sehe ich das nicht, sage ich. Briefmarken zum Beispiel
nehmen viel weniger Platz weg. Aber Autos fliegen nicht davon,
wenn jemand unverhofft das Fenster öffnet.
Der Mann macht mich nun doch nervös. Außerdem, sage
ich, wer erinnert sich schon voll Sehnsucht an eine Briefmarke,
an der er vor 20, 30 Jahren mal geleckt hat? Mit Autos ist das
anders, die will man wiedersehen, da kann man gar nicht gegen
an. Gewiß, man kann auch Pilze sammeln.
Er nickt und nickt. Mit jenem Ausdruck im Gesicht, den man Kindern
widmet oder Geisteskranken. Es ist aber gesünder, Automobile
zu sammeln statt Pilze. Ich schreie es beinahe, ich verspüre
immer stärker das Bedürfnis, mich zu rechtfertigen.
Noch nie ist jemand an einem giftigen Automobil gestorben. Es
ist peinlich, ich weiß. Ich verliere allmählich die
Kontrolle. Ich will jetzt zurück in meine Werkstatt, fordere
ich. Und springe auf. Er geleitet mich zur Tür, hält
sie mir bedeutungsschwer auf.
Wir machen am Mittwoch weiter, sagt er. Ich gehe. Aber ich komme
zurück, noch ehe sich die Tür hinter mir geschlossen
hat, wie Colombo, mit einer ganz wichtigen Frage: Die Anschrift
Ihres Sattlers? Dabei stoße ich meinen ausgestreckten
rechten Zeigefinger gegen seine Brust.
Er gesteht sie mir. Ich renne davon. Zweieinhalb Meter von diesem
schwarzen Kunstleder wird er wohl noch auftreiben können.
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aus Motor Revue 1987 |
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